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Als der Krieg nach Alte Hölle kam:
Die Erfahrungen von Bernhard Noack

 

Forsthaus Alte Hölle
Bernhard Noack und Theodor Breuer


Der Krieg war längst verloren als er nach Alte Hölle kam. Mitte April 1945 erschienen Sturmpanzer am Forsthaus und bauten südlich des heutigen Heizwerks und östlich des heutigen Bads einen Versorgungs- und Reparaturdienst für Panzer auf. Bald hatten die Soldaten auch eine neue mobile Funkstation eingerichtet. Das Forsthaus sollte Gefechtsstand der 12. Armee, der sogenannten „Armee Wenck“ werden.

Der 16jährige Bernhard Noack wohnte damals in Alte Hölle bei seinem Großvater, dem Forstmeister Theodor Breuer. Er erinnert sich, daß man bereits den Gefechtslärm sowohl der Ost- als auch der Westfront hören konnte, als um den 20. April der Quartiermeister von General Wenck erschien und von den Bewohnern des Hauses verlangte, es sofort zu räumen. Der 80jährige Forstmeister Breuer schaffte es, mit seinen Angehörigen in den oberen Räumen bleiben zu dürfen.

Für Noack wurde die neue Situation gefährlich. Unter den Offizieren war einer, den er als „typischen Nazimajor“ beschrieb, der ihn „anschiß“, er solle sich an die Front scheren. Davon wollte Noack aber nichts wissen. In der Tat hatte er schon einen Gestellungsbefehl der Hitlerjugend erhalten, ihn aber vernichtet. Er hätte sich in Potsdam melden sollen, aber in der Nacht zum Meldetermin hatten die Alliierten die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Noack zog es vor, sich im Wald zu verstecken. Immer mehr Wehrmachtsoldaten taten zur der Zeit dasselbe.

General Walther Wenck war der jüngste General der Wehrmacht. Seit dem 6. April war er Kommandeur der hastig zusammengestellten 12. Armee. Die „Armee Wenck“ war gewissermaßen eine Phantomarmee, deren Divisionen eher auf dem Papier als in Wirklichkeit bestanden.

„Wenck“, erinnert sich Noack, „blieb 2 Tage und in der einen Nacht hörten meine Großeltern und ihre 31jährige Schwiegertochter einen Mordskrach durch einen Streit.“

Um ein Uhr am 23. April wurde der Besuch vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Feldmarschall Wilhelm Keitel telefonisch angekündigt. Er kam direkt vom „Führerbunker“ in Berlin. Als Keitel eintraf, wurden Karten ausgebreitet und er forderte Wenck auf, den „Führer“ zu retten. Hitler hätte einen Zusammenbruch erlitten, erzählte er dem General, und jede Hoffnung aufgegeben. Wenck sollte unverzüglich aus dem Raum Belzig-Treuenbrietzen nach Nordosten vorstoßen, sich mit der 9. Armee von General Busse vereinen und Berlin entlasten. Das Schicksal Deutschlands habe Wenck in der Hand. Nachdem Keitel einen Alternativplan von Wenck abgelehnt hatte, sagte der General, er würde tun was er könne, wohlwissend, daß der Befehl des Feldmarschalls weder durchführbar war, noch, daß er die Absicht hatte, es zu versuchen.

General Wenck war stattdessen entschlossen, dafür zu sorgen, daß Fluchtwege nach Westen solange wie möglich offen blieben. Das Schicksal einer Person, sagte er seinem Stab, sei ohne Bedeutung. Am Tag darauf fiel Potsdam. Die Dörfer Garrey und Zixdorf wurden von der Roten Armee besetzt und Niemegk kam unter Artilleriebeschuß. In Zerbst standen schon die Amerikaner. Die ganze Umgebung war vollgestopft mit Flüchtlingen. Die „Armee Wenck“ versorgte schon eine halbe Million Zivilisten.

Manche Soldaten, erinnert sich Noack, hatten noch die Hoffnung, gemeinsam mit den vorrückenden Amerikanern gegen die Rote Armee zu kämpfen. Andere sprachen nur noch davon, Verwundete aus Beelitz zu befreien und dann zu den Amerikanern zu überlaufen.

Dann zog General Wenck ab und Bernhard Noack konnte nach zwei Tagen aus dem Wald zurückkehren.

Alte Hölle stand aber noch im Zeichen des Krieges. Vorübergehend wohnte dort eine junge Frau aus der evakuierten japanischen Botschaft in Berlin. Während ihres kurzen Aufenthaltes versuchte sie, Bernhard Noack Französisch beizubringen, er ihr Deutsch. Bald zog sie nach Mahlsdorf, wo sich andere Angehörige der Botschaft aufhielten, um das Kriegsende abzuwarten.

Auch Bibard Clovis wohnte noch in der Försterei. Clovis war französischer Kriegsgefangener, der am Bahnhof Wiesenburg arbeitete und täglich mit dem Fahrrad hin und her fuhr.

Am 4. Mai erreichte die Rote Armee Reetz. Mit dem Fernglas konnte Bernhard Noack die endlosen Kolonnen der Panjewagen, die den Panzern folgten, erkennen. Zwei Tage später kamen die ersten Soldaten der Roten Armee über Mahlsdorf nach Alte Hölle. Noack erinnert sich:

„Die Russen suchten nach ’Uhri’, Wodka und Frauen. Mir gelang es, im Nachbarhaus einen Bodenverschlag ausfindig zu machen, in dem wir etliche Frauen auch aus Reetzerhütten tagelang versteckten. Das lief für ungefähr eine Woche recht gut. Wir wurden nun immer wieder von Russen ’besucht’, die abstauben wollten.“

Es waren aber nicht nur Negatives zu erleben.

„Es gibt in dieser verrückten Zeit aber auch freundliche Begebenheiten. Auf den Wiesen nach Reetz zu wurden requirierte Kühe gesammelt. Es waren hunderte. Zur Bewachung hatten sie einen mongolischen Soldaten abgestellt. Man muss wissen, dass unsere Frauen damals die meiste Angst hatten, von Mongolen vergewaltigt zu werden. Dieser Mongole aber war die kindliche Freundlichkeit in Person. Er besuchte uns auch wie seine Kameraden, wollte aber nichts haben. Er war dann glücklich wie ein Kind, als mein Großvater ihm eine lange Tabakspfeife schenkte und meine Großmutter ihm seinen viel zu langen Russenkittel kürzte. Dafür wollte er uns dann beschützen mit seiner Kalaschnikow, wenn wir nur laut genug um Hilfe riefen.“

Bald hatten sie aber ganz andere Beschützer.

„Als die Kühe weg waren, wurden Zivilrussen aus dem Westen auf den Wiesen versammelt. Die machten uns große Angst. Ausgerechnet an diesem Tag kamen kultivierte russische Offiziere, die auch ein wenig deutsch sprachen nach Alte Hölle und quartierten sich bei uns ein, indem sie dicke Kabelbäume von Reetzerhütten her zogen. Sie gaben sich, oh Wunder, sehr höflich. Wir durften wieder mal oben im Hause bleiben, während unten ein russischer General übernachtete. Der Hof war sehr schnell mit großen Limousinen bevölkert. Hier waren nicht mehr von allen Geistern verlassene Kampftruppen im Gange, sondern es handelte sich um gebildete Menschen. Wir konnten Gott danken, dass dieser russische Stab bei uns einquartiert war, denn in jener Nacht zogen die Zivilrussen an unserem Haus vorbei. Diese ausgehungerten Menschen fielen wie die Heuschrecken über alles her. Aber der Posten mit der Maschinenpistole vor unserem Haus hielt sie fern. Nur einen Sonnenschirm ergatterten sie, den sie wie eine Trophäe auf einem Pferdewagen anbrachten.“

Noch bis Anfang Juni kamen einzelne versprengte deutsche Soldaten durch den Wald an Alte Hölle vorbei. Sie suchten den Weg über die Elbe, um sich den Amerikanern zu ergeben. Der Förster und seine Frau halfen ihnen so gut es ging mit Lebensmittel, einem sogar mit Stiefeln und Karten.

Noch 1946 hatte Bernhard Noack ein besonderes Erlebnis. Zu der Zeit hatten die Amerikaner noch eine Funkstelle auf dem Hagelberg.

„Sie fuhren manchmal mit ihrem Jeep mit dem weißen Stern auf der Motorhaube auch an Alte Hölle vorbei. Irgendwann trafen wir in Wiesenburg beim Tanzabend zusammen. Wir kamen bald ins Gespräch. Mir machte es Spaß, mein Schulenglisch anwenden zu können. Einer von ihnen hieß Firering. Er zielte in der Tanzpause mit seiner Pistole auf einen der überall stehenden Triumphbogen der Russen, schoss aber nicht. Es dauerte nicht lange, bis die sowjetische Militärpolizei die Amis im Tanzsaal verhaftete und abführte. Ich wurde sofort vom Dorfpolizisten Notnagel - so hieß er - verhaftet und einem sowjetischen Kriminalpolizisten übergeben. Nach banger Zeit stellte der mir die Frage, was ich von den Amerikanern wollte und was ich werden wollte. Wahrheitsgemäß sagte ich, meine Englischkenntnisse prüfen zu wollen. Weil es den Beruf ’Buchhalter’ auch im Russischen gibt, sagte ich, das will ich mal werden.“

Die Zeiten wurden dann ruhiger. Forstmeister Theodor Breuer starb 84jährig 1948. 1960 konnte seine Frau zu ihrem Sohn nach Düsseldorf übersiedeln.

1946 beendete Bernhard Noack die Schule am Franzisceum in Zerbst. Er arbeitere zunächst als Volontär beim Sägewerk Lüdicke & Kloss in Neuehütten und ein Jahr später fand er eine Stelle bei der Holzhandlung Hoff am Bahnhof Wiesenburg. Als der Betrieb 1948 verstaatlicht wurde, fand er bei der Kreisverwaltung Belzig als Verwaltungsangestellter in Handel und Versorgung Abteilung Lebensmittelindustrie Anstellung.

„In der 2. Jahreshälfte 1950“ berichtet Noack, „wurden wir CDU-Mitglieder wie man heute sagt ’gemobt’. Danach setzte ich mich über Westberlin nach Westdeutschland ab.“

Heute lebt Bernhard Noack in Köln.

 

 

 

 

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